Die Zukunft der Religiosität

Das Jahr 2024 geht in die Schweizer Geschichte als dasjenige Wendejahr ein, in dem die Konfessionslosen erstmals den katholischen Bevölkerungsanteil überholt haben, wobei sie in einigen Kantonen bereits die Mehrheit bilden. 1970 machten sie gerade einmal 1% der Gesamtbevölkerung aus. Sogar in Amerika ist die Kirchenzugehörigkeit auf unter 50% gesunken. Die Tatsache, dass sich dennoch die wenigsten selbst als Atheisten bezeichnen würden und Spiritualität als – meist allerdings unbestimmtes oder gar unbestimmbares – Bedürfnis angeben, verleitet viele, von „Religiosität ohne Kirche“ bzw. sogar ohne (christlich verstandenen) „Gott“ zu sprechen. Kann man sogar sagen, dass Religiosität ohne Kirche heute vermehrt auch Religiosität ohne Gott heisst? Welche Auswirkungen hat dies in Zukunft sowohl für das, was heute unter „Religiosität“ verstanden wird, als auch für die Gesellschaft, welche viele Funktionen, die bislang von den Kirchen wahrgenommen wurden, nun selbst aufbringen muss?

Religion wird aber nicht aus der Gesellschaft verschwinden: Es hält sich sowohl ein Anteil institutionell Glaubender als auch eine grosse Bandbreite von religiösen Zugehörigkeiten. Zudem werden die Kirchen von vielen in ihrer gesellschaftlich-sozialen Funktion geschätzt (65% der Konfessionslosen finden die Kirchen hier wichtig) und ihre Rituale werden noch gerne nachgefragt. Doch erschüttern gerade die aktuellen Missbrauchsskandale das grundlegende Vertrauen, welches derzeit gesellschaftlich (noch) gegeben ist. Zudem zieht sich die Kirche selbst aufgrund finanzieller Probleme zunehmend aus der Gesellschaft zurück. Und an Kinder und Enkel von heute noch religiös sozialisierten Bürgern wird die Kirchenzugehörigkeit ohnehin (fast) nicht mehr weitergegeben. Eine Zukunft von „Religiosität ohne Kirche“ wird also zunehmend wahrscheinlicher.